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Rauschen
Rauschen

Publikation im UM:DRUCK

 

Rauschen

Das Wort „rauschen“ lenkt die Gedanken erst einmal in den Bereich des Naturerlebnisses: bewegtes Wasser, Laub im Wind u.ä. - davon ist hier nicht die Rede.

 

Ebenfalls umgangssprachlich bezeichnet „Rauschen“ gewöhnlich jene Geräusche, die keine erkennbar relevante Information tragen und die Wahrnehmung wichtiger Inhalte stören. Es ist ein Faktor, der vermieden werden will, da es nicht nur keine brauchbaren Informationen für uns bereit hält, sondern diese im schlimmsten Fall unbrauchbar macht. Das gilt im akustischen wie auch im optischen Bereich: Das Rauschen in Fotos ist unerwünscht und das Rauschen beim Telefonieren stört.

 

Die physikalische Definition lautet: Das Rauschen ist eine Störgröße mit unspezifischem Frequenzspektrum. Es kann als Überlagerung mehrerer Schwingungen oder Wellen mit unterschiedlicher Amplitude und Frequenz, bzw. Wellenlänge interpretiert werden. Das hörbare Rauschen, das wir vom schlechten Empfang des Radios kennen, wird aber auch gezielt in Bereichen mit hoher Lärmbelastung eingesetzt: Menschen, die neben lauten Maschinen arbeiten, wird durch Lautsprecher ein Rauschen vorgespielt, das den Lärm der Maschinen überdeckt und dadurch scheinbar dämpft. Und in der Flugbranche verwendet man Kopfhörer, die die Geräusche der Außenwelt aufnehmen, akustisch einordnen und einen Gegenton generieren - so neutralisieren sie alle Geräusche und es herrscht Stille.

 

Das optische Rauschen hingegen entsteht durch Bewegung des Wahrzunehmenden oder durch die Zerlegung des Bildes in Punkte: Bei einer digitalen Fotografie beispielsweise wird ein Punkt anhand von x- und y-Koordinaten lokalisiert und nach Richtwerten wie Farbanteilen und Helligkeitsgrad definiert; wenn man jedoch das Bild vergrößert, wird um den ursprünglichen Bildpunkt eine Datenwolke konstruiert, die gemäß der statistisch errechneten Wahrscheinlichkeit am besten zu dem definierten Bildpunkt passt. Das heißt, das Gerät erzeugt je nach Vergrößerung Bildteile, die nicht existent sind und nicht zwingend etwas mit dem zu bearbeitenden Bild zu tun haben. Im digitalen wie auch im analogen Bereich haben also die Werkzeuge, mit denen wir arbeiten, ein eigenes „Rauschen“, das unvermeidbar auftritt, quasi ein eigenes Charakteristikum, das die Arbeit mitbestimmt.

 

Auch im nicht wahrnehmbaren Bereich gibt es das Rauschen: eine im molekularen und atomaren Bereich beobachtbare Grundschwingung. Dieses Rauschen umgibt uns ständig, es ist etwas Essenzielles, das mehr bestimmt als uns bewusst ist, aber wir nehmen nur einen Bruchteil des Gesamtspektrums, z.B. in Form von Hitze und Kälte wahr. Im nicht wahrnehmbaren Bereich des atomaren Rauschens arbeitet die Physik mit einem der Bildbearbeitung analogen System: Dem positiv geladenen Atomkern ist eine Hülle aus negativ geladenen Teilchen zugeordnet, der Ort der Elektronen, der ebenfalls als Wahrscheinlichkeitsmodell errechnet wird. Elektronen haben, wie die Atome als Ganze, ihre eigenen Schwingungen.

 

Der Physiker Werner Heisenberg hat 1927 in seiner Unschärferelation festgestellt, dass man den Ort und den Impuls eines Teilchens nicht gleichzeitig beliebig genau bestimmen kann, quantenmechanisch können also nur Wahrscheinlichkeitsaussagen gemacht werden. Diese Unbestimmtheit wird durch die Messung zerstört. Analog im Alltag: Man kann nicht sagen, dass und wie etwas ist, solange man es nicht wahrgenommen hat - doch wie beeinflusst der Beobachter das beobachtete Ergebnis?

 

Der Nobelpreisträger Erwin Schrödinger beschrieb den Welle-Teilchen-Dualismus und fand eine Bewegungsgleichung, die die Veränderungen des quantenmechanischen Systems erfasst, solange es nicht durch Beobachtung gestört wird. Er bebilderte dieses Phänomen 1935 durch ein Gedankenexperiment, bei dem er quantenmechanische Gesetzmäßigkeiten auf makroskopischer Ebene zu veranschaulichen suchte, unter dem Namen „Schrödingers Katze“ wurde es populär.

 

Das Gedankenexperiment ist wie folgt aufgebaut: In einem geschlossenen Raum befindet sich ein instabiler Atomkern mit einer bestimmten Halbwertszeit, der also in einer bestimmten Zeitspanne zerfällt. Der Zerfall wird von einem Geigerzähler verfolgt, der durch die Aufzeichnung einen Mechanismus betätigt, der am Ende des Prozesses Giftgas freisetzt. Dieses Giftgas tötet die im Raum befindliche Katze. Gemäß der Quantenmechanik befindet sich der Atomkern nach Ablauf der Halbwertszeit im Zustand der Überlagerung (gerade noch nicht und gerade schon zerfallen). Demnach sollte sich, wenn die Quantenphysik auf makroskopische Systeme anwendbar wäre, auch die Katze im Zustand der Überlagerung befinden, also gleichzeitig lebendig und tot sein.

 

Diese paradoxe Schlussfolgerung wird wie folgt interpretiert: Unter Beobachtung (Messung) springt der Atomkern, der sich zuvor im Zustand der Überlagerung befand, in einen der möglichen Zustände, weil die Wellenfunktion, die den Überlagerungszustand des Teilchens bestimmt hat, im Moment der Beobachtung kollabiert. Daher entscheidet erst die Messung durch einen bewussten Beobachter darüber, ob die Katze lebt oder tot ist. Gemäß der Heisenbergschen Unschärferelation folgt daraus, dass der Beobachter den definitiven Ort/Zustand seines Objektes selber auslöst, über Ort/Zustand vor der Beobachtung ist daraus nichts abzuleiten.

 

Diese überall und dauernd bestehenden Spins, Schwingungen, dieses Rauschen regt mich an, mich mit dessen Fehlen zu beschäftigen. Auch die Moleküle sind in ständiger Bewegung, die wir als Temperatur wahrnehmen und die nur dann nicht mehr ist, wenn ihre kinetische Energie null ist und damit ihre Temperatur an den absoluten Nullpunkt gelangt: Bei 0° Kelvin, was -273,15° Celsius entspricht, herrscht Stillstand.

 

Mein „meditativer Makak“ stellt meine eigene Definition dieser schwer fassbaren Größe dar, macht sie zum Bild: Das Mittelblatt, durchgehend mit meiner optischen Übersetzung von Rauschen überzogen, trägt die Zahl, die das Nicht-Rauschen benennt - -273,15 - und es bekommt einen Ort der Nicht-Existenz im Sinne einer räumlichen Durchdringung zugesetzt. Dieses Loch, das das Spiel an Informationsrauschen dahinter frei legt, wirkt als Ausgleich und Wechselspiel zu der Zeitschrift. Ein Ort des Stillstands ist es, bei dem das Rauschen nicht fortgeführt werden kann. Ich habe dabei für mein Rauschen einen Ausschnitt aus einer bereits bestehenden Arbeit, die schon Um:Druck (Nr.2/06) gezeigt worden ist, verwendet - das zentrale Stück von „64, oder was stand am Anfang aller Dinge“, das, mit Hilfe von digitalen Werkzeugen vielfach übereinander gelegt, ein eigenes Rauschen erzeugt. Die Ebene des Blattes wird hier zur Zone des wahrscheinlichen Aufenthalts des Loches, das im Zuge dieser Arbeit entlang des als Zahl geschriebenen Nullpunktes wandert und dabei Informationen in dieser Zeitschrift, gedruckt auf das darunter liegende Blatt, immer wieder aufs Neue offen legt, sodass diese insgesamt ebenfalls ein selektives Rauschen erzeugen.

 

(Aber ich muss Sie warnen: Unsere Wahrnehmung, welche dazu tendiert, dieses elementare Rauschen und alle anderen Arten des Phänomens auszufiltern, macht es nur schwerer, es in seinem vollen Ausmaß zu erfassen.)

Renata Darabant

© Renata Darabant